Stillmythen entlarvt
Zum Thema Stillen gibt es unglaublich viele verschiedene Meinungen und auch mittlerweile widerlegte, veraltete Regeln und Tipps. Wir haben einige dieser veralteten Aussagen gesammelt und entlarvt. Ganz allgemein möchten wir gebärende und stillende Personen dazu ermutigen, ihren eigenen Weg zu gehen und sich nicht all zu sehr von äusseren Kommentaren und Einmischungen leiten zu lassen.
Stillmythos Nummer 1: Gestillte Kinder schlafen später durch.
Auch wenn es sich nach einer einfachen Erklärung anhört: der Sättigungsgrad eines Babys und sein Schlafverhalten haben nur bedingt etwas miteinander zu tun. Stattdessen ist das beliebte „Durschlafen“ viel mehr ein Prozess der Reifeentwicklung des Gehirns. Diese Entwicklung ist dann abgeschlossen, wenn das Kind bereit dazu ist. Nächtliches Stillen sorgt weder für eine Verlängerung dieses Prozesses noch für eine Verkürzung. Nächtliche Stillmahlzeiten sind vor allem in den ersten Wochen (resp. Monaten) von Vorteil für Mutter und Kind. Eine stillende Mutter produziert nachts mehr vom für die Milchproduktion zuständigen Hormon Prolaktin und regt damit die Milchbildung besonders gut an. Und ein Kind welches merkt, dass seine Bedürfnisse nach Nahrung, Nähe und Sicherheit auch in der Nacht rasch gestillt werden, kann einfacher wieder vertrauensvoll einschlafen.
Stillmythos Nummer 2: Zwischen den Stillmahlzeiten müssen bestimmte Pausenzeiten eingehalten werden.
Die Annahme, dass zwischen zwei Stillmahlzeiten eine Pause gemacht werden muss, hält sich hartnäckig. Oft hören die stillenden Mütter, das Baby bekomme sonst Bauchschmerzen. Fact ist, dies ist ein Gerücht, welches nie belegt wurde. Es gibt keine wissenschaftlichen Erkenntnisse die eine Aussage in diese Richtung unterstützen. Wichtig ist, dass die Babys durch ausreichend langes Stillen an einer Brust an die energiereiche Hintermilch kommen. Mal ehrlich – bekommt ihr jedes mal Bauchschmerzen, wenn ihr kurz nach dem Essen wieder Appetit habt und euch evtl. noch ein Dessert gönnt? Von daher: hört beim Stillen ganz auf euer Baby. Wenn es nach einer Stillmahlzeit noch einmal nach der Brust verlangt, nur zu. Ihr richtet garantiert keinen Schaden an.
Stillmythos Nummer 3: am Abend sind meine Brüste leer, resp. mein Baby bekommt am Abend nicht genügend Milch.
Die Tatsache, dass viele Babys in den Abendstunden unruhig sind und viel an die Brust wollen, hat nichts damit zu tun, dass diese Brust nicht genügend Milch produziert. Im Gegenteil. Die Brüste einer stillenden Frau können jederzeit neue Milch produzieren. Und zwar immer dann, wenn das Baby daran saugt und damit eine „Bestellung“ aufgibt. Das abendliche Verhalten hat viel mehr damit zu tun, dass das Baby sich vor dem längeren Nachtschlaf noch einmal möglichst viele Kalorien holt und sich seine Milchmenge für den nächsten Tag „vorbestellt“.
Der Fachausdruck dafür ist „Clusterfeeding“. Ausserdem müssen viele Kinder am Abend auch die Eindrücke des Tages verarbeiten. Dazu suchen sie ganz gezielt nach Nähe und Geborgenheit. Dies sind beides Dinge die Mamas Brust ihnen gibt. Also vielleicht ist es gar nicht der Hunger, der für die intensiven Brustphasen verantwortlich ist. Im besten Fall richtet ihr euch gemütlich ein, lasst das Geschwisterkind vom Papa bespassen oder ins Bett bringen (nachdem er euch ein Glas Wasser und etwas zu essen hingestellt hat, selbstverständlich 😝) und lasst euer Baby stillen solange es möchte. Und für die schwierigen Momente gilt immer das Mantra: Diese Phasen sind zwar intensiv aber meist recht kurz.
Stillmythos Nummer 4: ein vollgestilltes Baby braucht zusätzliche Flüssigkeit in Form von Wasser oder Tee
Das ist schlicht und einfach Unsinn. Muttermilch besteht zu 85% aus Wasser. An heissen Tagen, wenn ihr Baby vielleicht mehr Durst hat, wird es sich einfach mehr zum stillen melden. Das ist wie bei uns auch. Wir trinken auch automatisch mehr, wenn es sehr heiss ist. Also auch bei hohen Temperaturen einfach nach Bedarf stillen. Das Wichtigste dabei: selber genug trinken! Denn der Flüssigkeitsbedarf der Mutter steigt in der Stillzeit generell, aber besonders natürlich, wenn durch Schwitzen und viel Stillen die Flüssigkeit auch schnell wieder weg ist. Allgemein gesagt, bekommt ein Baby genügend Flüssigkeit wenn; die Fontanelle nicht eingefallen ist, die Hautfarbe normal aussieht, das Baby munter ist und mind. 5 nasse Windeln am Tag hat.
Euer Baby wird keinen Schaden davon tragen, wenn ihr es an heissen Tagen ausschliesslich stillt (solange es stillen darf soviel es möchte). Umgekehrt kann zusätzliche Flüssigkeit bei Säuglingen aber tatsächlich gefährlich werden.
Der Wasserhaushalt von Babys ist sensibel. Der Flüssigkeitsumsatz ist in Bezug auf das Körpergewicht erhöht. Wenn das Baby nun Wasser trinkt, verdünnt sich das Blut, weil das Wasser wenig Natrium enthält. Die Babynieren können noch keine großen Mengen an Wasser ausscheiden. Der Körper möchte den niedrigen Natriumgehalt im Blut wieder ausgleichen und so tritt das Wasser ins Gewebe und schwemmt die Zellen auf. Dies hat zur Folge, dass eine Elektrolytimbalance entsteht und die Zellen aufgeschwemmt werden. Dieses Aufschwemmen kann besonders in den Gehirnzellen Symptome verursachen. Der Fachbegriff dafür lautet „Hyperhydration“. Deshalb sollte auch Pre-Nahrung nur nach Angaben des Herstellers zubereitet werden und auf keinen Fall auf eigene Faust mit zusätzlicher Flüssigkeit verdünnt oder gestreckt werden. Auch Muttermilch bitte nicht mit Wasser verdünnen und in der Flasche verfüttern.
Merke: erst ab Einführung der Beikost, sollte einem Baby zu diesen Mahlzeiten auch Wasser angeboten werden. Dann aber nicht in der Flasche, sondern in einem Trinklernbecher oder einem normalen Becher/Glas.
Stillmythos Nummer 5: nach 6 Monaten spätestens sollte das Kind abgestillt werden. Längeres Stillen bringt nichts mehr oder schadet dem Kind sogar.
Die WHO empfiehlt 6 Monate ausschliessliches Stillen und danach neben geeigneter fester Nahrung, weiterzustillen bis das Kind mindestens 2 Jahre alt ist. Sie gibt keine Alters-Obergrenze an. Denn Fakt ist, dass auch ein Kleinkind ebenso wie seine Mama von einer längeren Stillzeit profitieren. Gerade in den ersten Monaten der Beikost, wenn das Kind sich erst langsam ans Essen herantastet, deckt es nur einen kleinen Bedarf seiner Nährstoffe und Kalorien mit der Beikost ab. Der Grossteil der benötigten Energie kommt immer noch aus der Muttermilch.
Hier einige Zahlen dazu: Ein ausschließlich gestilltes Baby trinkt normalerweise 750 bis 800 ml Muttermilch täglich. Im Alter von neun bis zwölf Monaten kann es immer noch etwa 500 ml täglich trinken, was ungefähr die Hälfte seines täglichen Kalorienbedarfs abdeckt. Im Alter von 18 Monaten trinkt es wahrscheinlich noch etwa 200 ml täglich, was etwa 29 % seines Kalorienbedarfs ausmacht. Im zweiten Lebensjahr eines Kindes liefert Muttermilch immer noch etwa 43 % des Bedarfs an Proteinen, 60 % des Vitamin-C-Bedarfs, 75 % an Vitamin A, 76 % an Folat und 94 % an Vitamin B12.
Für die stillende Mutter bedeutet Stillen über 6 Monate hinaus, eine lebenslange Senkung des Risikos einmal an Herzkrankheiten, Typ-2-Diabetes und Brust-, Eierstock- und Gebärmutterkrebs zu erkranken. Für einige stillende Frauen, die das hier gerade lesen (und vielleicht gerade das x-te Mal das Baby an der Brust haben) klingt es vielleicht absurd etwas so Zeitintensives wie das Stillen für die nächsten 2 Jahre weiterzuführen. Aber eine Stillbeziehung verändert sich auch immer wieder. Ein Kleinkind und ein Säugling unterscheiden sich stark in ihrem Stillverhalten. Je älter das Kind, umso mehr Raum hat es für die eigenen Bedürfnisse und die Stillbeziehung kann so gestaltet werden, dass es für Mutter und Kind stimmt.
Darum: Stillt solange ihr und euer Kind das möchten, egal was alle anderen drumherum sagen!
Stillmythos Nummer 6: Du verwöhnst dein Baby, wenn du es immer sofort stillst.
Ein Menschenbaby braucht häufig Nahrung, da es schnell wachsen muss. Die Muttermilch ist optimal angepasst und der kleine Magen braucht viele kleine Mahlzeiten tagsüber und nachts. Ein Baby wächst in seinem ersten Lebensjahr so viel wie danach nie mehr. Die dafür benötigte Energie ist natürlich entsprechend hoch und die Verdauung darauf ausgerichtet diese so schnell wie möglich verfügbar zu machen.
Babys sind darauf angewiesen, immer zu wissen, dass ihre Bezugsperson da ist und sie beschützt. Denn als die Menschen noch als Jäger und Sammler lebten, bedeutete alleine abgelegt werden, der sichere Tod für einen Säugling. Und die Tatsache, dass die Eltern in der beheizten Wohnung im Zimmer nebenan sitzen, ist in den Gehirnen von Säuglingen noch nicht einprogrammiert. Ausserdem sind Babys zur Regulation ihrer Temperatur auf Körperkontakt angewiesen. Dass also ein Baby sich nicht, oder nur für kurze Zeit ablegen lässt und dann schnell wieder gestillt werden will, hat mehrere Ursachen. Einerseits ist Muttermilch tatsächlich schnell verdaut und ein Baby hat einen hohen Nahrungsbedarf. Andererseits sind Körperkontakt, Wärme und Nähe wichtige Komponenten die einem Baby Sicherheit und Geborgenheit vermitteln.
Ein Baby kann nicht verwöhnt werden. Denn was in unserer Gesellschaft als „verwöhnen“ angesehen wird, bedeutet einfach angemessen auf die Bedürfnisse seines Kindes einzugehen und ihm das geben, was es gerade braucht. Und wen das nicht überzeugt; wir Erwachsenen werden auch gerne mal verwöhnt und sind der Person die uns etwas Gutes tut, selten böse.
Hilfe und Unterstützung
Falls ihr Unterstützung oder Hilfe braucht beim Stillen, werden von der Grundversicherung 3 Stillberatungen übernommen. Dies unabhängig davon wie lange die Stillzeit dauert. Stillberatungen werden von der Krankenkasse bezahlt, wenn diese bei einer Hebamme, einer Still-und Laktationsberaterin IBCLC oder in einem Stillambulatorium einer Klinik stattfinden. Es können keine zusätzlichen Stillberatungen ärztlich verordnet werden. Die 3 Stillberatungen unterliegen nicht der Franchise.
Hier findet ihr das Kontaktformular um mit unserer Stillberaterin Christin Tlach, Hebamme MSc in Midwifery einen Termin für eine Beratung zu vereinbaren. Sie steht euch gerne mit ihrer jahrelangen Erfahrung zur Seite.